Do you remember?“

 

No. But tell me...“

 

Der lange Schatten des Carl von Brodt

 

 

VORTRAG VON ULRIKE LUX UND KAY BRUDY

 

 

1. BIOGRAFIEN

 

 

Carl von Brodt

 

Als Carl von Brodt 1892 in Connewitz geboren wurde, gehörte dies seit gerade einem Jahr zu Leipzig. Hier wuchs er wohlbehütet mit zwei Geschwistern in einer großbürgerlichen Familie auf. Häufig verbrachte er die Ferien seiner Kindheit in einem der Domizile in Schwarzenberg im Erzgebirge bzw. in der Sächsischen Schweiz. Im Ersten Weltkrieg diente er unfreiwillig und wurde schwer traumatisiert. Nach der Aufhebung der Zensur in der Weimarer Republik konnte er, großzügig mit finanziellen Mitteln aus der Familie ausgestattet, das Filmen, seine große Leidenschaft, zum Beruf machen. Seine oftmals selbstverfassten Drehbücher zeigen bisweilen eine deutliche Nähe zur Lyrik der Expressionisten, in deren Zirkeln von Brodt regelmäßig verkehrte. 

 

Bereits 1924 wurde die amerikanische Produktionsfirma Pinguru Pictures auf seine Erfolge in Deutschland aufmerksam, und Firmengründer Ken D. Birdy bot ihm einen 10-Jahres-Vertrag in Hollywood an. Dort angekommen, drehte er zunächst einige Streifen mit weniger bekannten Schauspielern. 1927 lernte er bei einer Soirée der reichen Hotelerbin Hanne „Lulu“ Hachenberger den jungen Hank Broody kennen, der bereits zuvor an einigen Studioproduktionen als Nebendarsteller mitgewirkt hatte.

 

 

 

Hank Broody

 

Der 1903 in Milwaukee geborene Sohn polnischer Einwanderer gelangte nach einer Ausbildung zum Bierbrauer über Umwege nach Hollywood. Die Bierindustrie hatte im schnell wachsenden Filmgeschäft eine sprudelnde Einnahmequelle entdeckt und schickte etliche Außendienstmitarbeiter in die Filmmetropole, so auch den smarten Broody. Schnell geriet er in die Kreise um Hotelerbin Lulu Hachenberger, die für ihre rauschenden Feste berüchtigt war. Sie machte den jungen Mann mit Produzent und Firmengründer Ken Birdy bekannt, welcher auf Anhieb dessen Potenzial erkannte. Broody sattelte danach sehr rasch vollständig ins Schauspielfach um. Gleichzeitig stürzte er sich in ein wildes Liebesabenteuer mit Lulu Hachenberger, das aber nur wenige Monate anhielt. 

 

 

 

Hanne Hachenberger alias Lulu Pixel 

 

Hotelerbin Hanne 'Lulu' Hachenberger war mit schier unbegrenzten finanziellen Mitteln sowie weitreichenden Kontakten in die Filmszene ausgestattet. 1899 in Kopenhagen geboren und dort aufgewachsen, blieb sie auf einer ihrer Weltreisen 1921 in Hollywood hängen, wo sie eine mondäne Villa errichten ließ. Dort führte sie ganz im Sinne der Roaring Twenties ein Leben voller Ausschweifungen und lebte ihre finanzielle Unabhängigkeit ungehemmt aus. Es kostete den Filmproduzenten Ken D. Birdy, häufiger Gast bei ihren Festivitäten, nicht viel Überzeugungskraft, die freigiebige  Hachenberger zu überreden, ihr Geld in die Produktionen seiner Firma Pinguru Pictures zu investieren. Dies tat sie regelmäßig und über mehrere Jahrzehnte, denn bei aller ihr eigenen Unbekümmertheit empfand sie doch eine große Liebe zum anspruchsvollen Film, auf den sich Birdy früh spezialisiert hatte. Unter ihrem bürgerlichen Namen trat Hachenberger im Zusammenhang mit Filmproduktionen nie offiziell in Erscheinung. Vielmehr kombinierte sie ihren Spitznamen Lulu mit der von ihr kreierten Wortschöpfung Pixel (von 'Picture Elements') zu ihrem Pseudonym. Besonders häufig arbeitete sie mit Carl von Brodt und dessen Stammbesetzung Hank Broody und Polly Lux zusammen, mit denen sie eine lebenslange Freundschaft verband. Verbürgt ist ebenso eine Affäre mit Broody in den frühen Zwanzigerjahren, aus der angeblich ein Sohn hervorging.

 

Hachenberger alias Pixel blieb ihrer Liebe zum Film bis ins hohe Alter treu, verlagerte ihr Engagement aber immer mehr auf die Tätigkeit als UNICEF-Botschafterin. Weltweit hoch geschätzt, verstarb sie 102-jährig friedlich und auf ein erfülltes Leben zurückblickend in ihrer Villa in Los Angeles.

 

 

 

Polly Lux

 

Paul Lux, der aus der Oberlausitz stammende Vater von Polly, war kurz vor der Jahrhundertwende in die USA ausgewandert und hatte sich in Kalifornien niedergelassen. Dort kam Polly 1907 als drittes von fünf Kindern zur Welt. Bereits im Alter von 18 Jahren zog es die abenteuerlustige und etwas rätselhafte Polly nach Hollywood, wo sie rasch in kleineren Produktionen reüssierte, bevor sie von Ken Birdy dem aufstrebenden Regisseur Carl von Brodt vorgestellt wurde. Dieser war spontan von ihrem spröden Charme und der Tiefgründigkeit ihres Wesens eingenommen. Seither setzte von Brodt Polly Lux immer wieder in seinen Werken unterschiedlichster Genres ein. 1928 hatte er die bahnbrechende Eingebung, mit ihr und dem kongenialen Partner Hank Broody ein neues Hollywood-Traumpaar zu kreieren. Im noch heute als Meisterwerk geltenden Stummfilm „The Whiff“ legte er das Fundament für eine mehr als vier Jahrzehnte andauernde Zusammenarbeit der so genannten „Dark Darlings“, wie die Presse die Publikumslieblinge bald taufte.

 

Eine beinahe symbiotische Beziehung entstand zwischen Lux und Lydia Gluck-Sander, nachdem jene von Carl von Brodt als Assistentin engagiert worden war. 

 

 

 

Lydia Gluck-Sander

 

Die 1901 in Berlin geborene Lydia Gluck entstammte einem bürgerlich-intellektuellen Haushalt. Während ihres Studiums der Theaterwissenschaften lernte sie dort den jungen Anarchisten  Heinrich Sander kennen, welcher aus politischen Gründen jedoch schon bald in die USA übersiedelte. Aus Liebe folgte sie ihm alsbald nach New York, wo sie dank der Fürsprache eines Verwandten recht bald am Broadway zur Regieassistentin avancierte. Nachdem Sander unheilbar an einem Lungenleiden erkrankt war, heirateten die beiden kurz vor dessen Tod, und Lydia  trug fortan den Namen Gluck-Sander. Um den Kummer über den Tod ihrer großen Liebe zu bewältigen, verließ sie New York in Richtung Hollywood. 

 

Schon wenige Wochen nach ihrer Ankunft stellte sich die selbstbewusste junge Frau erfolgreich bei ihrem Landsmann Carl von Brodt vor und legte damit den Grundstein für ihre Karriere als eine der ersten Filmregisseurinnen Hollywoods. Die zunächst fruchtbare Zusammenarbeit und ihre Affäre endeten jäh, als von Brodt ihr Drehbuch zum bahnbrechenden Erfolg von „The Whiff“ kurzerhand für sich beansprucht hatte. Gluck-Sander, die ohnehin die Tatsache, dass von Brodt seine Familie für sie nicht verlassen wollte, kaum verkraftet hatte, brach nun für lange Zeit mit ihm. Fortan ging sie ihrer eigenen Wege. Ein internationaler Erfolg gelang ihr jedoch erst 1947 mit dem  Agentenreißer „Nachtzug nach Novosibirsk“, welchen sie in Europa drehte.

 

 

 

Ken D. Birdy

 

Ken Birdy, 1889 in Warm Lake/Idaho, als Sohn eines Süßwarenfabrikanten geboren, machte sich in seiner ländlichen Heimat bereits als Jugendlicher einen unrühmlichen Namen als Kleinkrimineller. Sein Lebenswandel hatte dafür gesorgt, dass die finanzielle Unterstützung durch die begüterten Eltern schon früh ein Ende fand. Erst nach deren rätselhaftem Tod machte sich Birdy mit dem geerbten Vermögen auf an die vielversprechende Westküste. In Hollywood angekommen, knüpfte er rasch Kontakte sowohl zum organisierten Verbrechen als auch zu den ansässigen Filmstudios. Dort fand er ein ideales Betätigungsfeld, um sein zweifelhaftes Geschäftsgebaren mit seiner Vorliebe für abgründige literarische Helden zu verbinden. 

 

Immer wieder gelang es ihm, riesige Geldsummen für gewagte Filmvorhaben aufzutreiben. Längst zum Multimillionär geworden, ermöglichte Birdy Lydia-Gluck Sander bis zum Ende ihrer Karriere experimentelle Großprojekte - und das, obwohl sich diese stets seinen häufig wiederkehrenden Avancen entwunden hatte. 

 

Birdy genoss seinen Lebensabend in einem mondänen Pflegeheim in Santa Monica, wo er 1981 nach kurzer Krankheit verstarb.

 

 

 

 

2. KOMMENTIERTE LISTE GEMEINSAMER FILME

 

The Whiff

 

1929; Regie: Carl von Brodt; USA

schwarz-weiß; Stummfilm 

Genre: Expressionism; Horror; 78 Min.

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The Whiff“ ging als letzter großer Stummfilm in die Filmannalen ein, bevor ein Jahr später durch den  Pariser Tonfilmfrieden endgültig das Schicksal dieser Ära besiegelt wurde. Der Regisseur Carl von Brodt stellte Polly Lux erstmals Hank Broody zur Seite und etablierte die beiden als düstere  Alternative zum Stummfilm-Traumpaar Fairbanks/Pickford. Der damalige Straßenfeger war in einem solchen Maße furchteinflößend, dass es Jahre dauerte, bis die Protagonisten auch in weniger abgründigen Filmen Erfolge feiern konnten. Formal spielte von Brodt einmal mehr mit den Mitteln des „German Expressionism'“, zu dessen großem Erfolg in den USA er maßgeblich beigetragen hatte.

 

 

Struwwelpeter – Le méchant Allemand

 

1934; Regie: Carl von Brodt; Frankreich

schwarz-weiß; Tonfilm

Genre: Propagandafilm/Agententhriller/Horror; 89 Min.

 

Desillusioniert vom kommerziellen Druck der Filmindustrie und den damit verbundenen Eingriffen in seine künstlerische Autarkie, kehrte von Brodt 1932 Hollywood den Rücken ohne seine Kontakte zu den ehemaligen Weggefährten gänzlich aufzugeben. Von Frankreich aus wirkte er 1936 maßgeblich an der Gründung der „Hollywood Anti-Nazi League for the Defense of American Democracy“ mit. Bereits 1934, 10 Jahre vor Hitchcocks „Bon Voyage“  hatte er in Paris den finsteren Agentenreißer „Struwwelpeter – Le méchant Allemand“ abgedreht, in dem sich die Wege von Polly Lux in der Rolle als mysteriöse Protagonistin immer wieder mit denen von Hank Broody als amerikanischer Agent kreuzen. Während Broody im Automobil das Böse jagt, knattert Lux in bis kurz vor Filmende unklarer Mission auf dem Motorrad durch die Pariser Nacht... 

 

In diesem visionären, antifaschistischen Werk wird der aufziehende Horror aus Nazideutschland in Gestalt eines furchteinflößenden Struwwelpeter personifiziert. 

 

(Anmerkung: Zwar existiert im Französischen die Übersetzung „Pierre l'ébouriffé“, diese erschien von Brodt für den Stoff jedoch als zu lieblich klingend.) 

 

 

Nachtzug nach Novosibirsk

 

1947; Regie: Lydia Gluck-Sander; Deutschland

schwarz-weiß; Tonfilm 

Genre: film noir/Agententhriller; 92 Min.

 

Nachdem Lydia Gluck-Sander Jahre zuvor mit ihrem Mentor Carl von Brodt gebrochen hatte und die Kriegswirren viele ihrer ambitionierten Pläne vereitelt hatten, gelang ihr 1947 mit dem klassischen film noir endlich der internationale Durchbruch. Im Jahr der NATO-Gründung thematisierte sie den Ost-West-Konflikt als Agententhriller, der dessen Zuspitzung zum Kalten Krieg in visionärer Weise vorwegnimmt. 

 

 

Attack of the Mad Nutcrackers

 

1955; Regie: Carl von Brodt; USA

schwarz-weiß; Tonfilm

Genre: Horror; 78 Min.

 

Im Entstehungsjahr des Warschauer Pakts versuchte Carl von Brodt der als von ihm unerträglich empfundenen Kommunistenhatz der McCarthy-Ära ein Zeichen entgegenzusetzen. Mit den formalen Mitteln des klassischen Horrorfilms jener Zeit dreht er den Spieß um und inszeniert die Invasion durch das Fremde anders als viele seiner Regie-Kollegen nicht als reine Bedrohung. Vielmehr verknüpft er die Nussknacker aus dem Erzgebirge mit seinen Kindheitserinnerungen und versucht so, beim Publikum Sympathien zu evozieren. Von den US-amerikanischen Zensurbehörden alsbald auf die schwarze Liste gesetzt, floppte das ambitionierte Projekt gänzlich und stürzte von Brodt in eine tiefe Schaffenskrise. Gleichzeitig markierte diese Erfahrung die endgültige Abkehr des Regisseurs von den USA. Bis zu seinem Tod lebte er fortan in Frankreich und der Schweiz.  

 

 

Letzte Ausfahrt Connewitz

 

1958; Regie: Carl von Brodt; Deutschland

schwarz-weiß; Tonfilm 

Genre: Nouvelle Vague/Agententhriller; 87 Min.

 

13 Jahre nach Ende der Schreckensherrschaft in Deutschland, wagte sich von Brodt in seinem zweitletzten Film an die Aufarbeitung seiner bewegten Biografie, welche über viele Jahre von großer Zerrissenheit zwischen Heimatliebe und unbeugsamem Antifaschismus geprägt war. Deutschen Boden wollte er aber dennoch nie wieder betreten und ließ deshalb mit den Mitteln von Pixel und Birdy das Connewitz der 50-er Jahre auf einer Fläche von mehr als 3000 Quadratmetern im schweizerischen Niederhelfenschwil nahe St. Gallen originalgetreu nachbauen. Dort konnten auch relativ einfach die enormen Wassermassen von nahegelegenen Gletschern herbeigeschafft werden, die nötig waren, um die Regenmaschinen in Gang zu halten. Ganz im Stil der zeitgenössischen Nouvelle Vague inszenierte er den Agententhriller mit Raffinesse und gewohnt vieldeutig. An den Kinokassen konnte der Film die für damalige Verhältnisse ins Unermessliche gestiegenen Produktionskosten wieder einfahren. Broody und Lux wurden für ihr bestechendes Spiel mit mehreren Filmpreisen ausgezeichnet. 

 

  

El Compañero de la Muerte

 

1963; Regie: Carl von Brodt; USA

Farbe; Tonfilm

Genre: Italo-Western; 124 Min.

 

Nachdem von Brodt 1962 einer Aufführung der ersten Karl-May-Verfilmung „Der Schatz im Silbersee“ beigewohnt und sowohl Plot als auch Inszenierung für unerträglich seicht befunden hatte, beschloss er, ebenfalls einen Western zu drehen. Ein Jahr vor Sergio Leones Erfolg mit „Für eine Handvoll Dollar“ nahm von Brodt mit seinem düsteren und mit Gewaltszenen gespickten Film die Italo-Western-Welle der 60er-Jahre vorweg. Anders als viele seiner Regie-Kollegen verzichtete er auf die Verwendung eines Pseudonyms. 

 

 

Turn the lights off Sweetiepie

 

1963; Regie: Lydia Gluck-Sander; USA

Farbe; Tonfilm 

Genre: Romantische Komöde; 101 Min.

 

Im reifen Alter von 62 fasste die inzwischen international renommierte Regisseurin Lydia Gluck-Sander den Entschluss, wenigstens einmal im Leben eine leichte Komödie zu inszenieren. Um den gewagten Plan in die Tat umzusetzen, ließ sie sich von Lulu Pixel ein veritables Starensemble finanzieren; so konnten neben Lux und Broody auch Stanley Bencini für den preisgekrönten Soundtrack und Starautor Willy Blinder für das Drehbuch gewonnen werden. Bedingung war allerdings, den Streifen in Hollywood zu realisieren, was die Regisseurin schließlich zähneknirschend akzeptierte. Nach anfänglichen Schwierigkeiten am Set, die beinahe ungetrübte Heiterkeit des Plots überzeugend in Szene zu setzen, wurde die überdrehte Romanze am Ende zu Gluck-Sanders erfolgreichster Arbeit überhaupt. Erfolgreich und folgenreich, wie sich bei der Premierenfeier im El Capitan Theatre zeigen sollte. Zu fortgeschrittener Stunde trat der in cognito angereiste Carl von Brodt an das vertraute Trio heran, um zum überwältigenden Erfolg zu gratulieren. Schnell war im allgemeinen Freudentaumel das durch jahrelanges Schweigen und alte Verletzungen dick gewordene Eis gebrochen. Der Abend endete für alle vier in Lydias Suite. Eine künftige berufliche Zusammenarbeit, wie sie von Brodt euphorisch heraufbeschwor, war Gluck-Sander dennoch pragmatisch genug abzulehnen. 

 

   

La Somnambule

 

1965; Regie: Carl von Brodt

Farbe; Tonfilm

Genre: Psychodrama; 95 Min.

 

Wie im Rausch und befeuert von der neuen Zweisamkeit mit Gluck-Sander, verfasste Carl von Brodt in der nun gemeinsam bewohnten Villa der Regisseurin in der Dordogne das Skript für ein schrilles Psychodrama mit humoristischen Einsprengseln. Formal weist das Werk unverkennbare Bezüge zur aufkommenden psychedelischen Ära auf, die 1965 an der Westküste der USA mit den legendären Acid-Tests von Schriftsteller Ken Kesey Fahrt aufnahm. Inwiefern das alternde Paar in dieser Hinsicht selbst Erfahrungen sammelte, muss an dieser Stelle im Reich der Spekulation verbleiben. Ganz abwegig erscheint der Gedanke allerdings nicht. Nur kurze Zeit zuvor waren Hank Broody und Polly Lux, derweil längst selbst ein Paar, von San Francisco nach Hamburg übergesiedelt, wobei sie die Gelegenheit für einen Abstecher nach Frankreich nicht versäumten. 

 

Noch vor Ort in der Dordogne begann von Brodt spontan mit den Dreharbeiten vermittels einer Super-8-Kamera. Lux brilliert schließlich als exaltierte Mondsüchtige, während Hank Broody entfesselt ihren diabolischen Widerpart gibt.

 

 

La Somnambule revient

 

1967; Regie: Lydia Gluck-Sander

schwarz-weiß; Tonfilm 

Genre: Nouvelle Vague/Psychothriller; 106 Min.

 

Das späte Glück der beiden Regie-Asse währte indes nicht lang. Bei den Dreharbeiten zum (letztlich nie vollendeten) Film mit dem Arbeitstitel „Der Stülpner Karl – Ich scheiß auf den Kurfürst von Sachsen“ in der Böhmischen Schweiz, erlitt von Brodt am Set einen Herzinfarkt und verstarb, noch bevor die Rettungskräfte eintrafen. 

 

Die beiden Hauptdarsteller waren vollkommen aus der Bahn geworfen…Gerade noch mit riskanten Proben für die erste Einstellung beschäftigt, hatten sie das Drama aus luftiger Höhe mit ansehen müssen. 

 

Eine der raren Fotografien vom Filmset zeigt Broody und Lux beim waghalsigen Klettern kurz vor dem jähen Ende der Dreharbeiten. Wir haben auf dieser Grundlage die Szene hier plastisch nachgestellt, was vor dem Hintergrund des Todes von Carl von Brodt natürlich einen bitteren Beigeschmack hat.

 

Gluck-Sander stieß kurz darauf bei der Sichtung des Nachlasses auf das Konzept für die Fortsetzung von „La Somnambule“. Wie sie in einem Interview offen einräumte, verschaffte es ihr eine späte Genugtuung, das Drehbuch von ihrer Assistentin Élodie Charbonneau ausarbeiten zu lassen, ohne von Brodt auch nur mit einem Wort zu erwähnen. Dennoch muss es als historisches Verdienst angesehen werden, dass sie mit diesem großartigen Sequel das Vermächtnis des Verstorbenen vervollständigte. Mit der klassischen Schwarz-Weiß-Inszenierung bediente sich die Regisseurin noch einmal der Ästhetik der zu Ende gehenden Nouvelle Vague.

 

  

Sie schickte ihre Krähe

 

1972; Regie: Lydia Gluck-Sander

Farbe; Tonfilm 

Genre: Neuer Deutscher Film/Psychodrama; 127 Min.

 

Erst fünf Jahre später griff Lydia Gluck-Sander erneut auf das Paar Broody/Lux zurück, um die beiden in ihrem preisgekrönten Meisterwerk „Sie schickte ihre Krähe“ durch die tiefsten Abgründe der menschlichen Psyche zu treiben. Dabei mussten sie noch einmal bis an die Grenzen der Erschöpfung gehen. Angelehnt an Motive aus der griechischen Mythologie, überzeugte das Drehbuch Kritiker wie Publikum gleichermaßen. Als Aushängeschild des Neuen Deutschen Films konnte das Werk sowohl bei den Racoon Film Awards als auch bei den Ulan Bator Film Awards triumphieren. Zwischen Jury-Mitglied Kubilay Tschuluun und der Regisseurin entstand daraufhin eine freundschaftliche Verbundenheit, die letztlich dazu führte, dass der Filmwissenschaftler den entscheidenden Beitrag zum Erfolg des heutigen Abends beisteuern konnte.

 

 

Bye-Bye Eternity

 

1974; Regie: Lydia Gluck-Sander

schwarz-weiß; Tonfilm

Genre: New Hollywood/Drama; 163 Min.

 

Der letzte Film von Gluck-Sander mit Broody und Lux in den Hauptrollen geriet zum epochalen Meisterwerk. Von der Kritik frenetisch bejubelt, scheiterte das Drama kommerziell jedoch grandios. Von diesem Schock erholten sich bis zu ihrem nahen Lebensende weder die Regisseurin noch das Schauspielerduo. Gluck-Sander hatte Lux und Broody bis hin zur völligen Improvisation jede erdenkliche Freiheit gelassen, so dass diese tiefe Einblicke in ihr eigenes Seelenleben gewähren konnten. Waren sie beim vorangegangen Werk bis an die Grenzen schauspielerischer Möglichkeiten geraten, so ließen sie diese nun hinter sich: Die gereiften Mimen gingen förmlich in ihren Rollen auf. Gegen die aufstrebende Garde junger Schauspieler des so genannten 'New Hollywood' konnten die beiden aber nicht mehr anspielen – Lux und Broody waren aus der Zeit gefallen. Zum Misserfolg des Films mögen auch die elegischen Kameraeinstellungen, das kontrastarme Schwarz-Weiß sowie die schiere Länge beigetragen haben. Eingedenk der Tatsache, dass der Film die schicksalhafte Beziehung der  Protagonisten über einen Zeitraum von  mehr als drei Jahrzehnten begleitet, erscheinen jene formalen Entscheidungen selbstredend in einem anderen Licht. Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang die Arbeit der Maskenbildner, die bis in die jüngste Vergangenheit trotz der nun vorhandenen digitalen Möglichkeiten als unerreicht gilt. 

 

 

 

3. EPILOG

 

The Forgotten Adventures of Hank & Polly“ hatten wir unsere erste Ausstellung im Januar getauft, die sich um die Geschichte der viel zu lange in Vergessenheit geratenen Filmstars drehte. Dank neuester Forschungsergebnisse und vor allem spektakulärer Funde an Foto- und sogar Filmmaterial sind wir nunmehr in der Lage, mit der famosen Unterstützung des Fotografen Bernd Körsten hier in der Alten Handelsschule eine zweite, erweiterte Ausstellung zu präsentieren. Wir hoffen, es gelingt uns damit, insbesondere die Erinnerung an den großen Carl von Brodt bei Ihnen wachzurufen.

 

Aber zunächst noch einmal zurück zu Lux und Broody,  Nach Eintreten der ersten größeren Erfolge im Hollywood der Zwanziger- und Dreißigerjahre hatten beide ihr Privatleben weitgehend aus der Öffentlichkeit herausgehalten. Hinzu kommt, dass seit dem Ableben der „Dark Darlings“ ein erbittert geführter Rechtsstreit der Erben verhindert, dass der Nachlass der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. 

 

Am 25. Januar 1976 kamen Lux und Broody beim Absturz einer Boeing 707 der Egypt Air beim Landeanflug auf Bangkok mit allen weiteren 51 Passagieren tragisch ums Leben. Vom Publikum weitgehend vergessen, hatte sich das Paar aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Es ist nach heutigem Forschungsstand nicht gänzlich zu klären, ob die beiden ein Comeback planten oder ob sie der Schauspielerei endgültig den Rücken gekehrt hatten. Eine einzige Devotionalie fand 2018 den Weg zu Ulrike Lux, nämlich ein Kofferanhänger genau jenes Gepäckstücks, welches Hank Broody auf dem Todesflug mit sich geführt hatte. Während seines Liebesabenteuers mit Hanne Hachenberger hatte diese ihm den Koffer 1926 geschenkt. Seither hatte Broody den Koffer wie seinen Augapfel gehütet, ihn aber gleichzeitug auf all seinen Reisen stets mit sich geführt. Über die verschlungenen Pfade, auf denen der Anhänger in Ulrike Lux' Besitz gelangte, wurde mit der Kontaktperson Stillschweigen vereinbart...

 

Ein Jahr zuvor, 1975, war die Villa der zunehmend wunderlichen Lydia Gluck-Sander samt ihres Besitzes sowie des von Brodtschen Nachlasses bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Die Leiche Gluck-Sanders wurde allerdings nie gefunden.

 

Von Brodt hatte bereits einige Zeit vor seinem Ableben damit begonnen, alle Kopien seiner Filme, derer er habhaft werden konnte, bei Gluck-Sander einzulagern. Letztere folgte seinem Vorbild und wendete nicht unerhebliche finanzielle Mittel auf, um ihre eigenen Filme ebenfalls für alle Zeit aus dem Verkehr zu ziehen, nachdem sie den Glauben an das Film-Business gänzlich verloren hatte. Bis heute ist unklar, ob durch den Brand wirklich alle Filme für immer verloren sind. Jüngst tauchten allerdings Hinweise auf, die weitere Recherchen rechtfertigen.

 

Seit Jahren betreibt Kay Brudy intensive genealogische Nachforschungen, die ihn 2014 letztlich nach Leipzig an das Sächsische Staatsarchiv, genauer die Deutsche Zentralstelle für Genealogie führten. Dort hat er herausgefunden, dass er wohl ein Nachkomme des unehelichen Sohnes von Hank Broody und Hanne Hachenberger ist. Bereits Hank Broodys Vater hatte die Schreibweise seines Nachnamens anglisiert, da er seit seiner Kindheit unter dessen Bedeutung im Polnischen gelitten hatte.

 

Eine solche Überraschung hätte sich Kay Brudy nicht träumen lassen, und er begann, seine Nachforschungen auf die Biografie von Hank Broody zu fokussieren, wobei er natürlich rasch auf dessen langjährige Filmpartnerin Polly Lux stieß. Er begann eine Korrespondenz mit Kubilay Tschuluun, welcher ihm nach anfänglicher Skepsis weitere Details sowie ein Foto von der Preisverleihung in Ulan Bator zukommen ließ. Eventuelle Verwandte von Polly Lux in Deutschland finden zu wollen, schien illusorisch, da den Namen Lux allein hier über 9.000 Personen tragen. 

 

Doch es sollte anders kommen:

 

2015 lernte Kay Brudy bei der 24-Stunden-Ausstellung im Monopol Leipzig, wo er inzwischen eine Galerie betrieb, die Mitorganisatorin Ulrike Lux kennen. Wie vom Donner gerührt meinte er, in ihren Gesichtszügen eine auffällige Ähnlichkeit mit jenen der Polly Lux vom Foto aus Ulan Bator erkannt zu haben. Nur kurze Zeit später weihte er sie in seine Überlegungen ein, was zunächst aber nur unverblümte Skepsis hervorrief. 

 

Insgeheim betrieb Ulrike Lux jedoch fortan eigene Nachforschungen im Familienarchiv, wodurch sie eines Besseren belehrt wurde, denn ihr Großonkel väterlicherseits war tatsächlich einst nach Amerika ausgewandert…

 

Hiermit endet unser Vortrag, der, wie Ihnen allen klar sein dürfte, nach wie vor nur an der Spitze des Eisbergs kratzt, den wir vielleicht eines fernen Tages an die Oberfläche befördert haben werden. 

 

Bleiben Sie also neugierig, wir halten Sie auf dem Laufenden!

 

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und viel Spaß bei der Ausstellung!

 

Ulrike Lux und Kay Brudy, 2019